Symbiose

«Symbiose (von altgriechisch ‚zusammen‘ sowie ‚Leben‘) bezeichnet die Vergesellschaftung von Individuen zweier unterschiedlicher Arten, die für beide Partner vorteilhaft ist», beschriebt Wikipedia die Lebensform. Was sich erst einmal gut anhört, scheint bei differenzierter Betrachtung der Unterscheidung nach dem Grad der wechselseitigen Abhängigkeit durchaus kritischer. Als lockerste Form wird als unterstützende Symbiose die Allianz bezeichnet: Beide Arten erfahren zwar einen Vorteil aus dem Zusammenleben, sind jedoch ohne einander gleichwohl lebensfähig. Am andern Ende der Dimension steht die obligatorische Symbiose, wo die Partner alleine nicht mehr lebensfähig sind.

Menschliche, symbiotische Beziehung werden meist negativ als toxisch konnotiert, als krankhaftes Abhängigkeitsverhältnis zweier Personen bezeichnet. Fromm (1956) spricht von einer «Vereinigung ohne Integrität». Letztlich agieren die Partner:innen nicht eigenständig, sondern in Abhängigkeit vom Verhalten des oder der anderen.

Dabei gründet menschliches Leben in symbiotischen Prozessen. Nebst den biologischen Aspekten gründet gelungene Bindungsentwicklung im feinfühligen Bindungs-Fürsorge Verhalten: dem Einfühlen in die (potentiellen) Bedürfnisse des Gegenübers durch Verlässlichkeit und Verantwortungsübernahme. Erst durch Reifung führt die kindliche Entwicklung in einen kontinuierlichen Ablösungsprozess Richtung Autonomie und Integrität.

Die Entwicklung in Beziehungssystemen

Grundlegend hierfür ist die Interaktion in Beziehungssystemen (Luhmann 2000) als Kommunikation unter Anwesenden. Interaktionssysteme entstehen, wenn die Beteiligten ihr Verhalten durch wechselseitige Wahrnehmung der Anwesenheit aufeinander einrichten. Ein klarer Informations- und Gedankenaustausch ist Voraussetzung, damit Offenheit, Ehrlichkeit, Aufrichtigkeit, das Teilen bedeutsamer Erlebnisse und Erfahrungen wie auch das Aussprechen eigener Befürchtungen und Ängste entstehen kann. So entsteht ein klares Verständnis für Aufgaben und Zuständigkeiten, die Bewältigung von Meinungsverschiedenheiten und gemeinsame Veränderungen können gemeinsam gemeistert werden. Als reife Form der Entwicklung in Beziehungssystemen (Wynne 1985) entsteht so die Voraussetzung der Klarheit über eigene Bedürfnisse sowie die des Gegenübers. Der Respekt von Unabhängigkeit ermöglicht individuelle Entwicklungen bei bestehender Ausgewogenheit von Selbstständigkeit und Verbundenheit.

Psychische Erkrankungen münden teils in chronische Stress- und Belastungssituationen, in welchen Beziehungssysteme Gefahr laufen, zu regredieren. Angesichts Kummer und Gefahr wird Bindungs-Fürsorge Verhalten aktiviert. Das kann dazu führen, dass die eigenen Bedürfnisse und Gefühle unterdrückt werden. Authentisches Verhalten wird unterdrückt, etwa aus Fürsorge, Angst vor Verlust, Konflikten oder Ablehnung. Kurzzeitig kann eine solche Zurücknahme seiner Selbst unterstützend sein. Längerfristig gleicht die Form der Konfliktvermeidung, welche den Status Quo aufrechterhält und stabilisierend wirkt, einem Problemverhalten. Die Lösung schafft neue Probleme. An dieser Stelle wird die Einbeziehung von nahestehenden Menschen in eine psychiatrische Behandlung relevant. Die Kommunikation fördernder Austausch unterstützt ein dyadisches Lösungs- und Entwicklungsverständnis, damit Anforderungen gemeinsam gemeistert werden. Hier wird Vertrauen relevant. Die Grundlage des Vertrauens ist die Darstellung des eigenen Selbst. Ich kann dem vertrauen, der sich in dieser Weise selbst verstehen kann und der bereit ist, sein Selbstverständnis und auch seine Entwicklung in die Beziehung einzubringen (Küchenhoff 2017). Das gilt als Grundalge sowohl für die hilfesuchenden Systeme wie auch für Therapeutinnen und Therapeuten. Als Grundlage für Allianzen, für Entwicklungen hin zu Autonomie und Integrität bei bestehender Ausgewogenheit von Selbstständigkeit und Verbundenheit.